
»Beim Sport sprechen Kinder eine Sprache.«
Clemens Mulokozi fördert Kinder in Tansania. Dr. Martin Emele, Geschäftsführer ProSiebenSat.1 Produktion, unterstützt den Gründer Clemens Molukozi über startsocial dabei.
Das Spiel ist Teil eines Sportwettbewerbs für Schüler, den der Münchner Verein „Jambo Bukoba“ jedes Jahr im Nordwesten Tansanias organisiert. Über 1.000 Menschen sind in das Stadion am Victoriasee gekommen: Schüler, Lehrer, Eltern, Behördenvertreter. Es ist ein heißer Tag, aber vom See weht eine frische Brise über die Zuschauertribüne. Mittendrin sitzt Clemens Mulo
kozi, Gründer von Jambo Bukoba. Eigentlich lebt Clemens in München, aber auch in diesem Jahr ist er für den Wettbewerb nach Tansania gereist. Er fiebert mit den Kindern mit, obwohl es ihm im Grunde um etwas ganz anderes geht: „Wir wollen die Kinder über AIDS aufklären und ihr Selbstbewusstsein stärken. Der Sport hilft uns dabei. Bildung, Gesundheit, Gleichberechtigung – das sind die Ziele von Jambo Bukoba.“„Mir wurde klar, wie wenig Chancen die Kinder in Kagera haben und dass ich etwas tun muss.“
Die Provinz Kagera, in der Bukoba liegt, zählte lange Zeit zu den Gebieten mit dem höchsten Anteil an HIV/AIDS-Infizierten und -Erkrankten des Landes. Drei von fünf der neu Infizierten sind zwischen 15 und 24 Jahren alt, vier von fünf in dieser Altersklasse sind Mädchen. Zudem brechen viele Mädchen schon die Grundschule vorzeitig ab – oft wegen Schwangerschaften, HIV/AIDS-Infektionen oder weil sie früh verheiratet werden. Viele Jugendliche können weder lesen noch schreiben. Die Tatsache, dass HIV/AIDS ein Tabu-Thema ist, macht die HIV-Aufklärung besonders schwer. „Mir wurde irgendwann klar, wie wenig Chancen diese Kinder haben und dass ich etwas tun muss“, sagt Clemens.
Clemens´ Vater stammt selbst aus Kagera, seine Mutter aus dem Allgäu. Die Eltern haben sich in den 60er-Jahren in München kennengelernt, wo sein Vater damals Chemie studierte. Clemens hat als Kind selbst in Tansania gelebt, ist dort auch zur Schule gegangen. Als er zwölf Jahre alt war, ging seine Mutter mit ihm und seiner Schwester nach Deutschland zurück. Wenn der heute 50-Jährige an seine Kindheit in Tansania zurück denkt, erinnert er sich vor allem an die Großeltern, das Barfußlaufen, die frischen Mangos und Papayas zum Frühstück, die eine oder andere Schlange im Haus, die Affen auf Bäumen – aber auch an die Prügelstrafe in der Schule. Von anderen Problemen bekam er damals noch wenig mit.
„Ich habe mich erst ab 2006 intensiver mit den Problemen beschäftigt, die die Heimat meines Vaters belasten.“ Das war das Jahr, in dem Clemens´ Vater in Bukoba starb, wo er zu diesem Zeitpunkt wieder gelebt hatte. Clemens flog zur Beerdigung nach Tansania. „Dieser Besuch hat mir zum ersten Mal die vielen Missstände vor Augen geführt, die mir als Kind nicht bewusst waren.“ Da war zum einen natürlich das Thema HIV/AIDS, aber auch die schwierige Bildungssituation. Die Schulen nutzten teilweise noch dieselben Bücher, aus denen schon sein Vater gelernt hatte. Besonders fiel ihm auf, wie stark Mädchen benachteiligt werden. „Zu 99 Prozent sind sie es, die Wasser holen und im Haushalt helfen müssen. Zwischen Kochen und Waschen bleibt kaum Zeit, für die Schule zu lernen.“

„Sport ist universell. Wenn Kinder einen Ball bekommen, sprechen sie eine Sprache.“
Nach der Beerdigung des Vaters ist Clemens zunächst in den Alltag und zu seiner Familie nach München zurückgekehrt, wo er damals bei einer Bank im Sportsponsoring arbeitete. Doch was er gesehen hatte, ließ ihn nicht mehr los. „Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt: „Was ist dir wichtig?“ Die Antwort darauf veränderte sein Leben: Kindern und Jugendlichen in der Heimat seines Vaters eine Perspektive zu geben. Clemens beschloss, einen Verein zu gründen, der soziales Engagement mit Sport verbindet. „Sport ist universell. Wenn Kinder einen Ball bekommen, sprechen sie eine Sprache.“ Außerdem ist Clemens Mulo
kozi selbst Marathonläufer, „wenn auch kein besonders Guter“, sagt der 50-Jährige und lacht.Zwei Jahre später, im November 2008 kehrte Clemens nach Tansania zurück. In der Zwischenzeit hatte er intensiv an einem Konzept gearbeitet, zudem hatte er reichlich Enthusiasmus und Tatendrang im Gepäck. Sein Ziel: Das Ministerium für Gesundheit, Bildung, Sport und Familie in Bukoba von seiner Idee überzeugen. Dass dies kein Selbstläufer ist, wusste Clemens von Anfang an – in der Vergangenheit hatte Sport in Tansania keinen hohen Stellenwert. ‚Sport sei Luxus‘, das bekam er oft zu hören. „Aber ich brauchte dringend einen Ansprechpartner im Ministerium, der das Projekt vor Ort koordiniert und uns beispielsweise bei Fragen rund um Zoll und Steuern unterstützt. Zum Glück konnte ich die Funktionäre im Ministerium von meinem Projekt begeistern“, erzählt Clemens.
„Viele Schulkinder haben sich durch Jambo Bukoba zum ersten Mal mit AIDS auseinandergesetzt.“
Mit der Zusage flog er nach München zurück, gründete Jambo Bukoba und stürzte sich sofort in das Projekt: „Anfangs habe ich sehr viel nachts und an den Wochenenden gearbeitet, zusammen mit einer Handvoll aktiver Mitglieder und freiwilliger Helfer.“ Heute engagieren sich 25 Kollegen ehrenamtlich von Deutschland aus, zwei bezahlte Mitarbeiter sind vor Ort in Bukoba. Den Job bei der Bank hat Clemens letztes Jahr aufgegeben und seither ehrenamtlich für Jambo Bukoba gearbeitet. Das war – mit Familie – nicht immer ganz einfach. Vor kurzem hat Clemens nun die Zusage für ein Lebensunterhaltstipendium bekommen. Damit ist er die nächsten drei Jahre abgesichert und kann sich ganz auf die Weiterentwicklung von Jambo Bukoba konzentrieren. Sein Mut und sein Durchhaltevermögen zahlen sich inzwischen aus, der Verein hat viel erreicht: „Viele Schulkinder haben sich durch Jambo Bukoba zum ersten Mal mit AIDS auseinandergesetzt. Außerdem weiß ich von Lehrern, dass sich durch unser Programm die Noten der Schüler verbessert haben und die Fehlzeiten zurückgegangen sind.“
Jambo Bukoba hat von Beginn an mit Schulen zusammen gearbeitet und auf Lehrer als Vermittler gesetzt. Hierfür organisiert der Verein regelmäßig Workshops mit Sportlehrern. Die Pädagogen lernen spezielle Spiele, die Sport mit den Themen HIV/AIDS und Gleichberechtigung kombinieren. „Nach den Workshops statten wir die Schulen mit dem nötigen Material wie Bällen, Trikots und Sportschuhen aus. Unser Ziel: Die Lehrer sollen die Spiele in den Schulalltag einbauen.“
Und einmal im Jahr gibt es dann ein großes Fest. Ein Sport-Wettbewerb für 32 Schulen der Region, ähnlich den Bundesjugendspielen in Deutschland. Die verschiedenen Disziplinen hat Jambo Bukoba entwickelt. Neben der Stöckchen-Staffel gibt es beispielsweise ein Fußballspiel mit gemischten Teams. Dabei zählen nur die Tore, die ein Mädchen schießt. „Wir wollen Mädchen in Situationen bringen, in denen sie an Selbstbewusstsein gewinnen und Jungen helfen, Vorurteile abzubauen. Damit reduzieren wir auch die Distanz zwischen den Geschlechtern.“
„Mir ist wichtig, dass das Engagement partnerschaftlich ist.“
Wenn Clemens Mulo
kozi auf der Tribüne sitzt und die Kinder bei den Wettkämpfen beobachtet, muss er manchmal an den US-amerikanischen Präsidenten denken: „Präsident Obama hat seine Wurzeln auch am Victoriasee, in Kenia. Manchmal sehe ich mir die Kids in Bukoba an und überlege: Da könnten lauter kleine Präsidentinnen und Präsidenten dabei sein. Das Potenzial ist da, wir wollen Entwicklungsmöglichkeiten schaffen.“Und wie sieht die Zukunft von Jambo Bukoba aus? Clemens hat große Pläne: „Momentan erreichen wir rund 370.000 Kinder in Kagera, also 70 Prozent aller Grundschüler staatlicher Schulen. Unser Ziel sind 100 Prozent. Wir wollen unser Konzept weiter ausbauen und expandieren – erst einmal rund um den Victoriasee, dann in ganz Tansania.“ Wenn Clemens spricht, merkt man, wie viel ihm sein Engagement bedeutet. „Die Kinder in Kagera sollen nicht einfach denken, ‚ich werde sowieso nur Straßenhändler‘. Sie sollen anfangen zu träumen und sagen, ‚vielleicht werde ich später mal Arzt, Lehrerin oder Pilot.‘ Ich möchte einen Teil dazu beitragen, dass sie diese Möglichkeit bekommen.“
